Frisst Xi Jinpings Revolution ihre Ziehkinder? Und warum die Kosten für Jakartas Hochgeschwindigkeitszug explodieren. (Die Asien-Presseschau vom 20. Oktober 2021)

Asia Sentinel. 20. Oktober 2021. Screenshot.Asia Sentinel. 20. Oktober 2021. Screenshot.

Normalerweise ist es keine Meldung wert, wenn der „Bürgermeister“ oder die „Bürgermeisterin“ einer asiatischen Millionenstadt mit einer leichten Knochenverletzung ins Krankenhaus eingewiesen wird. Heißt sie aber Carrie Lam und ist zudem die verhasste Hongkonger Regierungschefin von Pekings Gnaden, dann ist das jedoch Aufmacher-News für die Presse in der Bankenmetropole an der Mündung des Perlflusses.

Nicht wegen der Patientin selbst erregen sich die Gemüter. Mitleid hat ohnehin fast niemand mit der Frau, die 6,9 Millionen Menschen auf Geheiß der Genossen aus dem Norden, in eine Art asiatische Bananenrepublik von Chinas Gnaden verwandelte. Nein, eine Ernennung im Schatten der Spitalsvisite der Politikerin lässt Beobachter aufhorchen.

Just während Lam in Behandlung weilte, ernannte sie nämlich Clement Woo, ein Mitglied der pro-Peking Demokratischen Allianz für die Verbesserung und den Fortschritt Hongkongs (DAB), zu ihrem neuen Staatssekretär für Verfassungs- und Festlandangelegenheiten. Der ehemalige Bezirksrat, der seinen Sitz bei den Wahlen 2019 verloren hat, wird sein Amt schon – heute – am Mittwoch 20. Oktober antreten.

Das ruft Erinnerungen an den gnadenlosen Fall von Tung Chee-Hwa wach. Der Geschäftsmann war auf Geheiß Pekings zum ersten Regierungschef Hongkongs nach der Übernahme von Großbritannien im Jahr 1997 ernannt worden. Als es 2005 zu Protesten der Bevölkerung gegen die neuen Herren kam, reichte Tung flugs seinen Rücktritt ein. Begründung: Probleme mit den Knochen.

Die Schlagzeilen damals: „Die Revolution frisst ihre Kinder“. Letztere Umschreibung für einen älteren Herren von damals immerhin schon 68 Jahren, ist sicher nicht ganz das passende Sprachbild. Aber der geneigte Leser, die Leserin versteht die Andeutung. Bereitet Peking da schon den Abgang der längst in Ungnade gefallenen Carrie Lam vor? China-Watcher meinen: „recht wahrscheinlich.“

Apropos China-Watcher. Der wohl bekannteste und auch kundigste Vertreter dieses Genres ist der Hongkonger Ex-Journalist Willy Wo-Lap Lam. Eine echte Legende der China-Berichterstattung. Aber zu viel Wissen über Interna der KP tut einem Hongkonger selten gut. Deswegen hat Lam auch schon in den frühen 2000er Jahren seinen Job bei der Hongkonger „South China Morning Post“ als „China-Editor“ verloren“. Jetzt analysiert er China für den US-amerikanische Thinktank Jamestown Foundation. In seinem Newsletter „China Brief“ fasst er den gegenwärtigen Zustand des Innenlebens der KP folgendermaßen zusammen:

„Es gibt weitere Beweise für einen erbitterten Machtkampf zwischen Chinas oberstem Führer, Präsident Xi Jinping, und einflussreichen Gruppen und Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Vizepräsidenten Zeng Qinghong und dem derzeitigen Vizepräsidenten Wang Qishan. Im Zuge der Enthüllungen der halboffiziellen Websites NetEase und Sohu im vergangenen Monat, dass mehrere hochrangige Beamte des politisch-juristischen Apparats (政法系统, zhengfa xitong), zu dem die Polizei, die Geheimpolizei und die Gerichte gehören, „finstere und verräterische“ (不轨, bugui) Aktionen gegen einen hochrangigen Parteiführer, von dem allgemein angenommen wird, dass es sich um Xi“ Jinping handelt.

Fazit: Angesichts von Energieknappheit und der damit einhergehenden Produktionskrise ist die Position des obersten chinesischen Steuermannes Xi doch nicht so felsenfest, wie die KP-Propaganda das dem In- und Ausland glauben machen will. Etwas trockener Stoff, aber eine Lese-Muss, wer wissen will, was hinter den Kulissen der KP gerade abläuft.

Normalerweise sind wir hier ja sehr sparsam mit Hinweisen auf deutschsprachige Medien. Der Essay „Der Staat greift durch“, verfasst von der chinesischen Geschäftsfrau Franka Lu in der „Zeit“ von dieser Woche, ist eine Ausnahme wert. Besonders ein Satz, der die gesamte Geschichte zusammenfast, hat uns überzeugt: „Nach bald zwei Jahren Pandemie ist China zu einem großen Gefängnis geworden.“ Äußerst informativ und lesenswert.

SupChina. 20. Oktober 2021. Screenshot

Gleiches gilt für den Kommentar über „chinesischen Kolonialismus“ des Uiguren Kok Bayraq in der „Taipei Times“. Eine aufrüttelden Warnung an all diejenigen, die meinen, Xi Jinpings Projekt der „neuen Seidenstraße“ sei ein Akt der Völkerverständigung, reif gar für den Friedensnobelpreis. Mitnichten. Der Autor meint:

Der chinesische Kolonialismus ist ganz anders. Er frisst das Fleisch, die Knochen und die Suppe, und für dich bleibt nichts übrig. Wenn er stärker wird, fängt er an, dich und dein Vieh zusammen zu fressen. Die jahrzehntelange Ausplünderung Ostturkistans unter der Marke „Großes Westliches Entwicklungsprojekt“ und der andauernde Völkermord an den Uiguren ist nichts anderes als eine für den chinesischen Kolonialismus charakteristische Szene.“

Wem der Rikscha-Reporter angesichts der vielen schlechten Nachrichten heute Morgen etwas deprimiert hat, dem sei ein Artikel aus „Japan Today“ zur Aufmunterung empfohlen. Er erzählt die Geschichte einer Frau aus Tokio, die eine Million Yen in der U-Bahn gefunden hat, immerhin mehr als 7500 Euro, und den Finderlohn von umgerechnet 2500 Euro ausschlug. Japan eben. Hoffentlich sind das keine Fake-News.

Die Links dazu anbei aus den englischsprachigen Tageszeitungen in Süd-, Südost- und Ostasien sowie anderen Weltregionen.*

Global Times/ China. 20. Oktober. Screenshot.

Geopolitics + South China Sea:

Diplomacy Japan-South Korea. Editorial: Disappointing signals – Korea Herald

North Korea. NK may test long-range missile next year: US intelligence agency – Korea Herald

AUKUS. Indonesia, Malaysia concerned over AUKUS nuclear submarines plan – Jakarta Post (paywall)

Maritime India. Defence Min Rajnath declares India’s commitment to rule-based freedom of navigation – The Statesman

World could maintain peace if US stops cornering China, Russia: – Global Times editorial

Global Times. 19. Oktober 2021. Screenshot.

China + Taiwan + Hong Kong:

EU to engage with Taiwan despite China’s pressure: European official – Focus Taiwan

LinkedIn gives up on Chinese social media dream – SubChina

BRI nations called on to develop green energyChina Daily

Economy China. China’s third quarter growth slows to 4.9% but still a high 9.8% for Jan-Sept – China Daily

Early Warning Brief: Factional Strife Intensifies as Xi Strives to Consolidate PowerJamestown Foundation

A shared spreadsheet reveals working hours at China’s biggest internet companiesSupChina

Hong Kong’s Carrie Lam hospitalised overnight after suffering minor fracture from fall at home. Carrie Lam was seen wearing an arm brace as she left Queen Mary Hospital at around 9:15 a.m. on Tuesday. – Hong Kong Free Press

China’s top economic planner vows ‚all necessary means‘ to curb ‘irrational’ coal pricesGlobal Times

Understanding Chinese colonialismTaipei Times

Domestic Politics:

Society Afghanistan. In open letter to Taliban, Malala urges Afghanistan’s new rulers to let girls return to school – AFP for Dawn.

Jakarta Post. 20. Oktober 2021. Screenshot.

Thailand tentatively reopening to tourists but recovery still far off. Also in this edition: The ruling generals are still divided; violence is escalating in nightly clashes at Din Daeng; and royalists are fretting about pornography, cartoons and a Korean TV show – Secret Siam

Japan. Police shooting looms over confirmation battle for Emanuel as ambassador to JapanJapan Today

Jokowi enters seventh year on stronger political footing – Jakarta Post (paywall)

Myanmar Crisis:

ASEAN envoy’s planned visit to Myanmar still being negotiated, but some demands cannot be compromised: Senior General – Eleven Media 

NUG. Myanmar shadow govt praises the move – Reuters for The Daily Star

Prisoners. Myanmar to free more than 5,000 protesters after Aseam snub – AFP for Borneo Bulletin 

Covid-19 + Vaccine + Science:

Thailand. Government to lock down parts of southern provincesThai Inquirer

Business + Economy:

SEZ Cambodia. S’ville set to turn into ‘second Shenzhen’ – Phnom Penh Post 

Rail Laos. Businesses eye benefits of Laos-China railway – Vientiane Times

Jobs Vietnam. Businesses struggle with labour shortage following the big exodus of migrant workers – Vietnam News

Tourism India. PM to inaugurate Kushinagar airport on Wednesday to promote Buddhist tourism – The Statesman

Auto Japan. Toyota launches cushion to prevent accelerator-brake mix-ups – The Japan News

Japan Today. 20. October 2021. Screenshot.

Banking + Money:

Japanese woman finds wallet with ¥1 mil, does right thing, then something even better – Japan Today

Costs Zoom for Indonesia’s Delayed High-Speed Train. Project faces delays, cost overruns, state bailout looms – Asia Sentinel

Climate + Environment:

Japanese firms in China worry most about power shortage – Japan Today

Bangkok Post. 20. Oktober 2021. Screenshot.

Flood warning for riverside areas – Bangkok Post

Culture + Life Style + Travel:

Travel Korea-Singapore. Korea-Singapore travel bubble: Tourists, business travelers look forward to return to normal – Korea Herald

Indonesia, Malaysia agree on travel corridor for businessmen, expedite talks on maritime borders – Straits Times

Media:

After video game ban, Chinese kids turn to Douyin and livestreaming gamers. Society & Culture. The Chinese government has restricted under 18s to only three hours of video games per week, and gaming companies are enforcing the rules. So instead of playing games, kids are watching other people play them.SupChina

Crime + Law + Espionage:

Sri Lanka. Pandora Papers disclosure: Int’l cooperation essential to hold wrongdoers accountable – TISL – The Island

SupChina. 11. Oktober 2021. Screenshot

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Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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