Indonesiens Präsident Joko Widodo lässt die radikale „Islamische Verteidiger-Front“ verbieten

FPI-Führer Rzieq Shihab. Foto: Screenshot Youtube

Mit dem überraschenden Verbot der radikalen „Islamischen Verteidiger-Front“ (Front Pembela Islam, FPI) hat die indonesische Regierung von Präsident Joko Widodo einen wichtigen Etappensieg gegen muslimische Hardliner im eigenen Land erzielt. Mohammad Mahfud, Minister für Politik, Recht und Sicherheit im Kabinett von Widodo sagte bei einer Pressekonferenz, die Regierung habe beschlossen, den bereits Ende Juni 2019 abgelaufenen Antrag der gefährlichen Miliz auf Zulassung als zivilrechtliche Organisation, abzulehnen

 Als Organisation habe die FPI vielfach gegen die Gesetze der mit 275 Millionen Einwohnern größten muslimischen Nation verstoßen, zur Gewalt aufgerufen und Überfälle gegen Andersdenkende veranstaltet, sagte der Minister. „Die Regierung wird alle von der FPI durchgeführten Aktivitäten unterbinden.“

Screenshot Webseite FPI. Foto: Jürgen Kremb

Die islamistische Miliz war im August 1998, kurz nach dem Sturz von Ex-Diktator Suharto, gegründet worden. An der Spitze stand der Hassprediger Muhammad Rizieq Shihab, der als „geistiger Führer“ die Einführung der Scharia in ganz Indonesien forderte. Er verstand sich als Kämpfer gegen religiöse Toleranz und Multikulturalismus, den Grundfesten des indonesischen Vielvölkerstaates und gab vor, Abkömmling des Propheten Mohammed zu sein.

Unklar blieb stets, ob die FPI nicht von konservativen Militärs aus dem Umfeld von Suharto gegründet und finanziert worden war, um Unruhe und Chaos im Land zu schüren und eine Demokratisierung des Archipels im Keim zu ersticken. Auf entlegenen Inseln des indonesischen Archipels beteiligten sich Anhänger der FPI auch an ethnischen Säuberungen gegen Christen.

Bald ließ sich Rizieq „Groß-Imam“ nennen und stachelte seine Anhänger, die schnell auf mehrere Hunderttausend angewachsen waren, in Jakarta zum Sturm auf Kneipen, Diskotheken und andere Nachtclubs auf. Dass er dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde, verstärkte seine Popularität nur noch. Denn meist kam er nach kurzer Zeit wieder frei. Hinter den Kulissen hatte er ganz offensichtlich mächtige Geldgeber und Unterstützer, für die er gerne die willfährige Puppe in deren Machtpoker spielte. Obwohl die FPI bei weitem nicht die größte muslimische Gruppe im Lande ist, entwickelten sich Rizieqs weißbetuchten und stets gewaltbereiten Kaftan-Milizen dadurch immer mehr zur Macht der Straße.

Flucht ins Exil wegen Nacktbilder

Gerade unter der Landbevölkerung und den verarmten Slumbewohnern der Millionenstädte galt er als Kämpfer gegen die „korrupten Eliten“ in der Hauptstadt Jakarta. Sein erklärtes Ziel war es, in dem südostasiatischen Land ein Kalifat nach Vorbild der syrischen IS und der pakistanischen Taliban zu errichten. Er sah sich als oberster Moralwächter des Landes.

Selbst nahm er es aber mit den staatlichen Gesetzen und der islamischen Moral nicht so genau. Häufig liefen die von Rizieq angezettelten Demonstrationen und Massenkundgebungen aus dem Ruder. Es kam zu schweren Ausschreitungen und mehrmals waren auch Todesopfer zu beklagen.

Offizielles Werbevideo Basuki Tjahaja Purnama.

Doch als er 2017 dabei ertappt wurde, wie er während einer Gebetsveranstaltung Nacktfotos mit einer Anhängerin austauschte und damit selbst gegen die von ihm mitinitiierten Anti-Pornographiegesetze verstoßen hatte, setzte er sich ins selbst gewählte Exil nach Saudi-Arabien ab.

Staatspräsident Widodo, der die Fahne des liberalen Islams in seinem Land hochhält, hatte noch einige Rechnungen mit dem Prediger offen. Denn es war Rizieq und seine FPI, die mit gewalttätigen Demonstrationen 2017 zum Sturz und der anschließenden Verurteilung des christlichen Gouverneurs von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, wegen angeblicher Blasphemie beigetragen hatten. Basuki, Angehöriger der chinesischen Minderheit, war ein enger Vertrauter des Präsidenten. „Ahok“, wie ihn seine Anhänger nennen, ist das Gesicht eines modernen, liberalen Indonesiens. Zudem schlug sich der Hassprediger Rizieq während des letzten Präsidentschaftswahlkampfs offen auf die Seite von Widodos Gegner.

Rizieq forderte die „moralische Revolution“

Als er am 10. November aus dem saudischen Exil zurückkehrte, empfingen ihn trotz Corona-bedingtem Versammlungsverbot mehrere Zehntausend Anhänger johlend und betend am Flughafen in Jakarta. Jetzt rief er schon offen zur „moralischen Revolution“ und Sturz der politischen Eliten in Indonesien auf. Tage später lud er dann 10.000 Gäste zur Hochzeit seiner Tochter ein. Angeblich soll er sich dabei, wie mehr als 80 seiner Anhänger auch, mit dem Coronavirus infiziert haben. Dennoch verweigerte aber er aber eine Gesundheitskontrolle der Behörden vornehmen zu lassen.

Moschee in Jakarta. Foto: Pexels Tom Fish/ rechtefrei

Es begann ein tagelanges Katz- und Mausspiel mit den Ordnungskräften, die den Prediger in Quarantäne stecken wollten und ein Gesundheitszeugnis verlangten. Als am siebten Dezember Polizisten bei einer Verfolgungsjagd in einen Hinterhalt gerieten, eröffneten sie das Feuer. Sechs FPI-Anhänger starben.

Wieder kam es zu Massendemonstrationen. Die Hauptstadt drohte im Chaos von Demonstrationen zu versinken, in einer Zeit, zu der ohnehin schon wegen Corona die Grabstätten knapp werden. Die Regierung entschloss sich deshalb, der Gruppe mit dem Verbot endgültig den Gar auszumachen.

Ob sich der selbsternannte „Groß-Imam“ Muhammad Rizieq Shihab daran hält, ist mehr als fraglich. Dafür hat er schon viel zu viele Unterstützer unter den Eliten des Landes, die ihn und seine Kampftruppen für ihre politischen Interessen in den Straßenkampf schicken und für allerhand andere Machtkämpfe gebrauchen können.

Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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