Ein wirrer Hongkonger Sicherheitschef

Mit Jimmy Lai und Ehefrau. Foto: Adrian Bradshaw.Mit Jimmy Lai und Ehefrau. Foto: Adrian Bradshaw.

Man wundert sich ja immer, dass es selbst für die schäbigsten Jobs Menschen gibt, die diese mit Inbrunst ausfüllen und kein Problem haben, ihre Mitmenschen und die Welt anzulügen. Wider besseres Wissen. Wider den Anstand. Wider jedwedem Schamgefühl. Unter Politikern ist diese Spezies angeblich besonders verbreitet. Man hat sich dran gewöhnt. „Der Mensch ist gut, aber die Leut‘ sin a G‘sindel,“ heißt das im Wiener Schmäh.

Als Super-G’sindel wurde Hongkongs Sicherheitsminister John Lee am Montag in der Stadt an der Mündung des Perlflusses besonders auffällig. Er bestritt nämlich vehement, dass er die Pressefreiheit in der chinesischen Sonderverwaltungszone einschränke, indem er das Vermögen des pro-demokratischen Medienmagnaten Jimmy Lai einfriere.

Am vergangenen Freitag hatten Lees Schergen alle Aktien von „Next Digital“ aus dem Verkehr gezogen. Das ist die Holding verschiedener Magazine und vor allem der pro-demokratischen Zeitung „Apple Daily“. Das Boulevard-Blatt war die letzte bedeutende Stimme des unabhängigen Journalismus und der Freiheit in Hongkong gewesen. Ebenfalls am Freitag war der 74-jährige Verleger Lai mit anderen Mitstreitern aus der Hongkonger Demokratiebewegung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden.

Ihre Verbrechen, sie hatten im Jahr 2019 angeblich „unerlaubte“ Demonstrationen organisiert, um gegen die Unterdrückung der Demokratie in Hongkong durch Peking zu protestieren. Dabei waren bis zu einem Viertel der Stadtbevölkerung auf den Beinen gewesen. Das ist nach dem von Peking im März diktierten „Sicherheitsgesetz“ auch rückwirkend zu betrafen – mit bis zu lebenslänglicher Haft sogar.

Es bestehe der „begründete Verdacht“, sagte der Hongkong-„KGB“-Mann Lee, dass das Einfrieren von Lais Vermögen rechtfertigte. „Die Maßnahme, die wir diesmal ergriffen haben, waren ein Durchgreifen gegen ein Verhalten, das die nationale Sicherheit gefährdet.“ Und all das habe keinen direkten Bezug zur journalistischen Arbeit von Jimmy Lai gehabt. „Jeder, der irgendeinen Job macht, muss sich an das Gesetz halten.“

Lee fügte hinzu, dass das Einfrieren von Vermögenswerten ein „international anerkanntes“ Mittel sei, um Geldwäsche und illegale Finanzierung zu bekämpfen oder zu verhindern, und nichts mit privaten Eigentumsrechten zu tun habe.

Im Hinterkopf höre ich Lai raunen, wie er da auf der Anklagebank sitzt, und sein Lebenswerk dahinschmelzen sieht: „John Lee, Du Verräter der Demokratie in Hongkong, bist ein verdammtes Schildkrötenei.“ Oder ähnlich. Aber wahrscheinlich hat Lai doch „John Lee, Du Schildkrötenei“ gesagt.

Denn das Wort „Schildkrötenei“ (auf chinesisch „wangba dan“ = 王八蛋“) hat Jimmy Lai berühmt gemacht. Es heißt etwa soviel wie „Bastard“ oder das Englische „son of a bitch.“

Anfang der Neunzigerjahre war Jimmy Lai ein steinreicher Unternehmer in Hongkong gewesen. Er betrieb das florierende Textillabel Giordano. Aufgebracht über die blutige Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Pekinger Platz des himmlischen Friedens am vierten Juni 1989, hatte er den Next-Magazin-Verlag gegründet, aus dem später die äußerst erfolgreiche „Apple Daily“ hervorging. Es war schon bald die auflagenstärkste Zeitung der Stadt.

In einer Kolumne für „Next“ beschimpfte Lai 1993 den chinesischen Premierminister Li Peng, der auf dem Tiananmen-Platz den Schießbefehl erteilt hatte, als „wangba dan.“ In Folge zwang ihn die chinesische Regierung alle Giordano-Filialen in China zu schließen und bald darauf auch seine Aktien, des in Hongkong gelisteten Unternehmens abzustoßen. Bei Zuwiderhandlung drohte Peking die gesamte Firma in den Bankrott zu treiben.

Ich besuchte Lai damals mit meinem Fotografen Adrian Bradshaw in seiner imposanten Villa in Hongkong. Es gab reichlich Veuve Clicquot  und Abalonen. Seine deutlich jüngere Frau trug ein rot-schwarz gestreiftes Poloshirt. Und er erzählte bis spät in die Nacht seine ungewöhnliche Lebensgeschichte.

1947 in Guangzhou (Kanton) in Südchina geboren, erlebte er eine Kindheit voll Unterdrückung und Armut. Weil sein wohlhabender Vater vor den Kommunisten nach Hongkong geflüchtet war, steckten diese seine Mutter ins Arbeitslager. Er und seine Geschwister sammelten Müll. Mit zwölf gelang ihm selbst als blinder Passagier auf einem Flussdampfer die Flucht nach Hongkong. Dort schlug er sich als Kinderarbeiter in Textilfabriken durch, war Marktschreier, bis er aus seinen bescheidenen Ersparnissen eine bankrotte Textilfirma aufkaufen konnte und diese zu der Weltmarke Giordano ausbaute.

Spät am Abend machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Die Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik China war schon in greifbare Nähe gerückt und Jimmy Lai zeigte sich mehr als skeptisch. Er misstraute den Kommunisten. Für ihn waren sie alle „wangba dan“ und er wagte schon damals eine kühne Voraussage: „Sie werden sich nicht an die Verträge mit den Briten halten und Hongkong bekommt nie Demokratie.“

Der wohl älteste „angry young man“ Hongkongs sollte Recht behalten. Einzig im Zeitraum hatte er sich getäuscht. Keine zehn Jahre, meinte er damals, werde Hongkongs Freiheiten nach der Überhabe an China zum erste Juli 1997 noch währen.

Es sind etwa 20 Jahre geworden.

Aus: Die Asien-Presseschau vom 19. Mai.

Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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