China, Land der Lügner

Global Times/China. Screenshot. 28. April 2021Global Times/China. Screenshot. 28. April 2021.

Aus: Die Asien-Presseschau – 28. April 2021

Normalerweise feiern chinesische Staatsmedien die Erfolge ihrer Staatsbürger im Ausland, sei’s in Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur, mit viel Pathos, stolzgeschwellter Brust und großem KP-eigenem Tamtam eben. Nicht so die Verleihung des Regie-Oscars am Wochenende an die in Peking geborene Chloé Zhao.

Kein Wort in den Zeitungen, keine Erwähnung beim staatlichen Fernsehen, die Zensur, stets der kommunistischen Partei unterstellt, entfernte selbst alle Einträge aus den sozialen Medien. Nur die sogenannten „Fleischjagd“-Hunde wurden von der Kette gelassen. Das ist das Äquivalent zu den russischen Trollen, also jene, gut bezahlte Propagandaarmee, die auf missliebige Staatsbürger, Andersdenkende und jedwede vermeintliche „Gegner des chinesischen Volkes“ losgeht, immer wenn die Propagandaabteilung der KPCh zur Jagd geblasen hat.

Soldaten dieser China-eigenen Shitstorm-Armee fragten dann auch im chinesischen Netz, ob Zhao, die in Großbritannien und den USA ausgebildet wurde, immer noch chinesische Staatsbürgerin sei. Noch während Zhao ihren Sieg feierte, grub die Agitprop-Truppe zwei Interviews aus, in denen Zhao Dinge sagte, die sie als “Beleidigung Chinas” betrachteten.

Die Suche nach den Hashtags “Nomadland…” und “Kein Land, auf das man sich verlassen kann” (mit Bezug auf den Film) ergaben folgende Antwort: “Gemäß den entsprechenden Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien wird die Seite nicht gefunden.” Ein Beitrag auf Weibo, dem chinesischen Twitter, des „Nationalen Verbands der Lichtspielhäuser“, der letzte Woche noch ein Plakat für “Nomadland” gezeigt hatte, bliebt jetzt leer.

Warum ist das so? Im Mittelpunkt der Kontroverse stehen zwei Zitate. In einem Interview mit dem amerikanischen Filmmaker-Magazin sagte Zhao 2013: “Es geht auf die Zeit zurück, als ich ein Teenager in China war und an einem Ort lebte, an dem es überall Lügen gibt.” Das zweite Zitat stammt aus einem Interview, das Zhao im Dezember letzten Jahres mit der australischen Website news.com.au geführt hatte. Da wurde sie zuerst folgendermaßen zitiert: …. “die USA ist jetzt mein Land.” Obwohl die Nachrichtenseite später einräumte, dass Zhao falsch zitiert worden sei, und dass der Artikel “aktualisiert wurde, um zu reflektieren, dass sie sagte, die USA ist nicht’ mein Land,” ließ sich Chinas Propaganda davon nicht mehr umstimmen. Die chinesische Oscar-Preisträgerin Cloe Zhao, große Tochter ihres Landes, gilt jetzt als „Feind des chinesischen Volkes“.

Wen wundert’s. Einen anderen großartigen Sohn des chinesischen Volkes, den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, ließen die unbarmherzigen Politkommissare Pekings am 13. Juli 2017 mit einem unbehandelten Leberkrebs im Haftkrankenhaus von Changchun jämmerlich verrecken.

Fußnote: das Flaggschiff des deutschen investigativen Journalismus, der Hamburger SPIEGEL würdigte die Internetsperre gegen die chinesische Oscar-Preisträgerin folgendermaßen. „China hat in Onlinenetzwerken offenbar Einträge über die in Peking geborene Regisseurin und frischgebackene Oscargewinnerin Chloé Zhao gelöscht. Alle aktuellen Mitteilungen, die Zhaos Namen oder ihren preisgekrönten Film »Nomadland« enthielten, verschwanden am Montag auf ungeklärte Weise aus dem Onlinedienst Weibo.“

Ich finde das Emoji jetzt gerade nicht, wo jemand einen Hammer auf den Kopf kriegt und dann Sternchen aus den Augen fliegen. Aber das tut’s auch: 🤯

Zhao hin, Lügner her, dafür hatte die „Global Times“ anderen Grund zum Feiern. Exklusiv vermeldete das Propaganda-Sprachrohr der KPCh: „Chinas neue Raketenbasis in der Küstenstadt Haiyang in der ostchinesischen Provinz Shandong, die speziell für die Unterstützung von Raketenstarts auf See konzipiert wurde, wird im Mai in Betrieb gehen und in der Lage sein, mindestens 10 Feststoffraketen pro Jahr zu montieren und zu testen, teilte ein Projektleiter am Dienstag gegenüber der Global Times mit.“ Das soll heißen: bald haben wir auch genügend Raketen, um ausländische – gemeint amerikanische – Flugzeugträger versenken zu können.

Dass Hardware aber das eine und Software das andere große Ding ist, dass es bei moderner Kriegsführung zu beherrschen gilt, musste jetzt Chinas Stolz zur See, die Trägergruppe Liaoning bei ihren Ausflügen in das Südchinesische Meer schmachvoll erfahren. Fast eine Woche dümpelte das Herzstück des Verbandes, der Flugzeugträger nämlich, unbeweglich auf den Wellen. Rauchwolken stiegen aus dem Inneren des Schiffes.

Militäranalysten vermuten: „Motorschaden“. Als dann der Verband wieder manövrierbar war, ging es auf eine Reise um die Südostspitze von Taiwan. Aber auch dort mussten sich die chinesischen Admiräle die Augen reiben. Denn weil einige Schiffe des Flugzeugträgerverbandes in der Formation nicht mithalten konnten, schipperte plötzlich ein amerikanischer Zerstörer mitten in dem Herzstück der chinesischen Kriegsmarine mit.

Was mag Xi Jinping wohl dazu sagen? Wahrscheinlich das: „🤯

Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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