Taiwan debattiert das „Wann“ und „Wie“ des Einmarschs aus Peking. Und Chinas trauriger Krieg in den Tropen. (Die Asien-Presseschau vom 26. November 2021)

Global Times: China. 26. November. Screenshot.Global Times: China. 26. November. Screenshot.

Es klingt surreal, ist aber angesichts der Folgen für den Weltfrieden beängstigend und sollte uns in Europa – gerade der neuen Bundesregierung in Berlin – als Weckruf dienen: Taiwans Medien, Öffentlichkeit und Regierung diskutieren dieser Tage mit großem Ernst und erschreckender Offenheit nicht „ob“, sondern „wann“ und „wie“ der Angriff der Volksrepublik China auf die demokratische Inselnation erfolgen wird. Dazu gibt es derzeit mehrere Denkschulen.

Die erste befürchtet, dass militärische Auseinandersetzungen schon im Frühjahr, nach dem aus der Sicht der Pekinger Führung „erfolgreichen Abschluss“ der Olympischen Winterspiele 2022 erfolgen könnte. Die Argumente dafür sind:

  • China wird gerade von einer bedrohlichen wirtschaftlichen Notlage gebeutelt. Die China Evergrande Group, der größte Immobilienkonzern des Landes, steht trotz gegenteiliger Beteuerungen der Regierung vor dem Kollaps. Die Energieversorgung in weiten Teilen des Landes ist bedroht. KP- und Staatschef Xi Jinping ist daran gelegen, zum XX. Parteitag der KPCh im Herbst als größter Führer in die Geschichte der Volksrepublik China nach Mao Zedong einzugehen. Dazu braucht er ein außenpolitisches Abenteuer, um von der innenpolitischen Malaise abzulenken.
  • Xi reist gerade durch sein Reich und hämmert seinen Soldaten, Offizieren und Generälen immer wieder den gleichen Satz ein: „Genossen und Soldaten der Volksbefreiungsarmee, für den Falle einer militärischen Auseinandersetzung müsst ihr schon jetzt am Aufbau der Logistik und Versorgung hart arbeiten.“
  • Dieser Tage haben mehrere Fregatten der chinesischen Marine in internationalen Gewässern vor der Stadt Hualien, auf der schwer zugänglichen Ostseite der Insel den Landeangriff auf Taiwan geprobt.
  • Seit Anfang des Monats sind alle Schiffe, die unter chinesischer Flagge in asiatischen Gewässern fahren, gehalten, ihr Radar abzuschalten. Das steht im krassen Widerspruch zu internationalem Seerecht, erschwert aber die Lokalisierung für ausländische Aufklärer und beschwört gleichzeitig eine Kollision mit Schiffen anderer Nationen herauf.
Foreign Affairs. 19. November 2021. Screenshot.

Die zweite Schule meint:

  • Ein Angriff Chinas auf Taiwan wird erst in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre stattfinden. Xi drängt gegenwärtig darauf, das chinesische Militärbudget bis Ende des Jahrzehnts zu verdoppeln. Noch wäre die chinesische VBA den amerikanischen Streitkräften erheblich unterlegen.
  • Gerade hat China nach eigenem Bekunden erstmals Überschallraketen getestet, die mit Nuklearsprengköpfen bestückbar, die amerikanische Festlandsverteidigung de facto aushebeln könnten. US-Militärs sprechen bereits von einem chinesischen Sputnik-Moment.
  • Aber noch brauche China, so Taiwans Geheimdienste, vier bis fünf Jahre, um derartige „game-changer“-Waffen in Serie und großer Stückzahl produzieren zu können.

Eine alternative Denkschule repräsentiert der deutsche Sinologe und Gründer des „Mercator Institute for China Studies“ (MERICS), Sebastian Heilmann.

  • Bei einer öffentlichen Ringvorlesung an der Universität Trier sagt er vor wenigen Tagen, dass China an einer Strategie der allmählichen Zermürbung der demokratischen Inselnation arbeite, die darauf setze, dass „Taiwan irgendwann wie eine reife Frucht dem Festland in den Schoß fällt“.
  • Der Krieg dafür sei schon im vollen Gange. Es gebe tägliche Scheinangriffe zur See und der Luft aus China auf das Territorium des Gegners, mit dem Ziel, die Armee Taiwans auszubluten, und ohne dass ein Schuss abgefeuert werden muss.
  • Zudem versuche Peking sich die Hightech-Industrie Taiwans, vorneweg der weltweit führende Produzent von Halbleitern TSMC, unbeschadet unter den Nagel zu reißen, um hernach andere Industrieländer von dem Gold des digitalen Zeitalters ein für alle Mal abzuschneiden.
  • Der Cyber-Krieg dafür sei allerdings längst in eine heiße Phase eingetreten, so Heilmann. Täglich gebe es unzählige Cyberangriffe der Festlandschinesen auf die kleine Insel. Taiwans Regierung muss mittlerweile acht Prozent ihres Staatsbudgets für die Abwehr dieses digitalen Terrors aus Peking aufwenden.
  • Einziger Vorteil der daraus entspringe, sei, das Taipeis Dienste dadurch weltweit führend im Kampf gegen chinesische Trolle geworden seien und mittlerweile zahlreiche andere demokratische Nationen im Kampf gegen die Cyber-Wolfskrieger aus Peking ausbilden.
Nikkei Asia. 24. November 2021. Screenshot.

Geradezu bizarr, wenn auch nicht weniger alarmierend wirkt in diesem Kontext, dass aus der brenzligen Lage entlang der Taiwan-Straße quasi ein klassischer Stellvertreterkrieg auf den Salomonen (engl. Solomon Islands) in der Südsee entsprungen ist.

Dort brannten Aufständische zu Wochenbeginn chinesische Firmen nieder. Australien, das als Schutzmacht fungiert, musste daraufhin am Mittwoch Truppen zur Stabilisierung der Lage entsenden, berichtet der BBC.

Die meisten der Demonstranten stammen von der Insel Malaita, die sich seit langem über die Vernachlässigung durch die Zentralregierung beschwerten. Auch hatte man sich dort entschieden gegen die von Premierminister Sogavare 2019 vollzogene Änderung der diplomatischen Beziehungen von Taiwan zu China ausgesprochen.

Am Mittwoch versuchten die Aufständischen dann das Parlament zu stürmen und den Premierminister abzusetzen. Nach den Unruhen wurde eine 36-stündige Ausgangssperre verhängt, der sich die Demonstranten jedoch widersetzten, um am Donnerstag im Chinatown-Viertel von Honiara auf die Straße zu gehen und Häuser anzuzünden.

Nikkei Asia. 24. November 2021. Screenshot.

Die Botschaft von Peking hat ihrerseits gegenüber der Regierung der Salomonen „ernste Bedenken“ geäußert. Premierminister Sogavare hat jedoch versichert, dass seine Regierung weiterhin die Kontrolle über die Inselgruppe habe.

Von „traurigen Tropen“ zu sprechen, das mag nicht nur angesichts der Klimakrise zukünftig die passende Begrifflichkeit sein, wenn von Weltgegenden die Rede ist, die noch zu unseren Kindertagen als „Paradiese“ galten.

Das war Afghanistan freilich nie. Und mit der Rückeroberung des Landes am Hindukusch durch die Gotteskrieger der Taliban droht der Bevölkerung jetzt nicht nur Terror und Unterdrückung, sondern bald auch Hunger und ein Massensterben. Davor warnt jedenfalls die größte englischsprachige Tageszeitung im Nachbarland Pakistan.

 „In Afghanistan bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an, die weitreichende Auswirkungen haben wird, die sich nicht auf das vom Krieg verwüstete Land beschränken werden,“ schreibt das Blatt, das einst als Sprachrohr der All India Muslim League in Neu Delhi gegründet wurde. Und weiter: „Einem aktuellen UN-Bericht zufolge werden rund 60 Prozent der 38 Millionen Einwohner Afghanistans von der drohenden Nahrungsmittelkrise betroffen sein. Nur fünf Prozent der Bevölkerung haben genug zu essen. Die Situation wird sich noch verschlimmern, da sich die humanitäre Soforthilfe verzögert.“

Links dazu anbei aus den englischsprachigen Tageszeitungen in Süd-, Südost- und Ostasien sowie anderen Weltregionen.*

The Irrawaddy. 22. November 2021. Screenshot,

Geopolitics + South China Sea + Diplomacy:

China-Germany relations won’t seriously derail despite small bumps – Global Times editorial

German mention of ‘Taiwan’ lauded. ‘UNPRECEDENTED’: Taiwan’s envoy said that official wording framing Taiwan-China issues as not about unification or independence counters the narrative Beijing wants – Taipei Times

China’s New Border Law Could Further Complicate Boundary Disputes – The Irrawaddy

Why is India in Denial as China Pushes Into Arunachal? Since July 2017, China has been aiming to set up 628 ‚well-off‘ society villages all across Tibet border areas. – The Quint

Defence Aviation Post. 24. November 2021. Screenshot.

Indian naval ship undertaking coordinated patrol with Indonesian vessel – Defence Aviation Post

Geopolitics India. Opinion: India at the heart of Asian power matrixThe Statesman

Solomon Islands: Australia sends peacekeeping troops amid riots – BBC Asia

South China Sea. PH belies China claim: BRP Sierra Madre stays – Inquirer

China + Taiwan + Hongkong:

FT-Twitter. 24. November 2021. Screenshot.

U.S. reps say China demanded they call off Taiwan visitFocus Taiwan

Why China Wants More and Better Nukes. How Beijing’s Nuclear Buildup Threatens Stability – Foreign Affairs

Burned by developers, China’s trust industry pulls back from property. The $3tn sector scales back investments in real estate as it scrambles for cash – Nikkei Asia

JPMorgan boss regrets saying bank will outlast Chinese Communist Party – BBC Asia

MeToo: Why Women’s Tennis Assoc. has little left to lose in leaving China over disappearance of champion Peng Shuai – Hong Kong Free Press

Hong Kong Free Press. 23. November 2021. Screenshot.

Olympics: Don’t Promote Chinese State Propaganda. Olympic Committee’s Call with Chinese Tennis Star Disregards Safety Concerns – Human Rights Watch

Domestic Politics:

Afghanistan. On the brink of catastrophe – Dawn

Democracy Thailand. PM ignores questions on why Thailand didn’t get invite to democracy summit – The Nation

Politics Malaysia. Young DAP leaders urge Anwar to step down – Sin Chew Daily

Myanmar Crisis:

The Irrawaddy. 25. November 2021. Screenshot.

Over 20 Anti-Coup Activists Sentenced to Death by Myanmar Junta – The Irrawaddy

Heavy Fighting Reported Between Myanmar Junta and Northern Shan Armed Group – The Irrawaddy

Military tribunal sentences to death penalty and life imprisonment to those who committed terrorist acts and attended trainings in armed groups – Eleven Media 

Five-point road map will continue: SAC’s Chair – Eleven Media 

Covid-19 + Vaccine + Science:

The Straits Times. 26. November 2021. Screenshot.

Singapore to extend VTLs to 6 more countries, including Thailand and Cambodia – The Straits Times

Hong Kong detects new Covid-19 variant in traveler who had been to South Africa – The Straits Times

Philippines Starts to Get Act Together on Covid. Draconian policies, corruption, mismanagement finally somewhat behind them – Asia Sentinel

Business + Economy:

Most Pakistanis believe country is headed in wrong direction: Ipsos survey – Pakistan – Dawn 

Multi-billion dollar deals signed between Japan and Việt Nam at business conference – Vietnam News

The Japan News. 26. November 2021. Screenshot.

Japan to launch new scheme to foster start-upsThe Japan News

Nepal to be upgraded from LDC category – The Kathmandu Post

Hyundai to test Level 4 self-driving system next year – The Korea Herald

The Korean Herald. 26. November 2021. Screenshot.

Banking + Money + Crypto:

Digital currency pilot project to include banks, companies – The Japan News

Media + Tech:

BBC Asian. 24. November 2021. Screenshot.

China: Photographer sorry for ’small eyes‘ Dior picture – BBC Asia

Big Tech in Indonesia may start paying news firms for content – Jakarta Post for Phnom Penh Post

Digital Vietnam. Global forum gathers over 170 young Vietnamese intellectuals – Vietnam News

Nokia seeks to recapture past glory with Made-in-Bangladesh smartphones – The Daily Star

UMC settles with Micron in trade secret theft dispute – Focus Taiwan

SEA-Globe. 26. November 2021. Screenshot.

Climate + Environment:

Wildlife artist paints a book of love letters to Malaysia’s birds. In a nation sheltering numerous bird species, Choo Beng Teong’s first book offers an aesthetic call for education and conservation – South East Asian Globe

Culture + Life Style + Travel:

Teaser Trailer. Three Strangers. A Myanmar LGBTQ Documentary About A Queer Family From Rakhine Tagu Films

Heritage Malaysia. More than 500 cave paintings found in Perak – The Star

Crime + Law + Espionage:

Jemaah Islamiyah infiltrating Indonesian religious, civic institutions: Senior counterterror official – CNA/Singapore

Apple warns Thai activists „state-sponsored attackers“ may have targeted iPhones – Jakarta Post

China’s public security official wins seat for Interpol’s executive committee despite obstructions from so-called ‚human rights‘ activists – Global Times/ China

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Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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