Die Autorin arbeitete ein Jahrzehnt für NGOs in Myanmar und Thailand. Jetzt fragt sie sich, wie sinnvolle Arbeit an den Putschgenerälen vorbei noch möglich wäre.
“Wir sind mit etwa 60 Leuten vor den Angriffen der Tatamdaw in den Dschungel Richtung Indien geflüchtet, wo wir in einem provisorischen Lager versuchen, zu überleben,” ruft ein Freund ins Telefon. Immerhin funktionieren die Mobilnetzwerke der Nachbarländer in den Grenzgebieten. Aber das ist auch alles. Sämtliche Anrainerstaaten Myanmars haben 2020 wegen Covid-19 die Grenzübergänge geschlossen. Seit dem Coup stationieren Indien, China und Thailand mehr Sicherheitskräfte entlang der porösen Grenzen.
Myanmars Militär, in der Landessprache Tatamdaw genannt, vertrieb in der Vergangenheit immer wieder Zehntausende von Flüchtlingen aus dem Land, die von den Nachbarn mehr schlecht als recht durchgefüttert werden mussten. „Wir müssen uns schützen. Wir wollen nicht über die Grenze weglaufen, sondern das Militär endlich seiner Macht entheben und als Minderheiten gleichberechtigt sein,“ sagt er. Ein ungelöstes Thema seit dem anti-kolonialen Widerstand.
Jetzt geht es zuerst ums pure Überleben. Die 60 Binnenflüchtlinge im Dschungel brauchen etwa acht US-Dollar pro Kopf pro Tag. Für internationale Nichtregierungsorganisationen (INGOs) wäre das eine Kleinigkeit. Viele INGOs hatten 2020 ihre Budgets bereits umgeschichtet von mittelfristiger Entwicklungskooperation zu kurzfristigen Zielen im Zusammenhang mit der Pandemie, sowie humanitärer Hilfe. Seit dem Putsch befindet sich das Land in einer Abwärtsspirale Richtung Abgrund.
Multi-laterale und bi-laterale Gelder fallen größtenteils weg, wie das effektive Moratorium der Weltbank für Kredite und Zuschüsse. Durch Coup & Covid läuft die Hälfte der Bevölkerung Gefahr, bis 2022 in Armut zu fallen – das wären bis zu 25 Millionen Menschen. Alte und neue Krisen der menschlichen Sicherheit steigen dramatisch. Allein durch das Aufflammen des Konflikts nach Angriffen der Tatmadaw auf ethnische Rebellengruppen und Bombardierung von Zivilisten entstehen wieder Zehntausende von Binnenvertriebenen. Dazu kommt die fliehende Bevölkerung aus den Städten, die neuerdings auf ähnliche Art von den Militärs terrorisiert wird.
So auch das beschriebene Lager meines Gesprächspartners am Telefon. Mit überschaubaren Beträgen könnte man diesen Menschen helfen und Geld, zumindest über Umwege, schon morgen abschicken. Aber ohne Transparenz, Ausgabenplan, Belegen und anderen Kriterien, die INGOs heilig sind. Es ist eine Frage der Prioritätenabwägung zwischen Bedürfnissen der ärmsten und verwundbarsten Zielgruppen gegenüber den Vorschriften der Geldgeber.
Generell stehen INGOs, die mit burmesischen Partnern an Entwicklungsprojekten zusammenarbeiten, derzeit fast vor unüberwindbaren Hindernissen. Mit den Putschisten und ihren Anhängern will man nicht kooperieren. Zudem streikt die Mehrheit der Beamten und Angestellten. Sie haben sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM) angeschlossen, um dem Militär jede Dienstleistung und Kontrolle zu verweigern.
So liegt seit Februar jedwede Kooperation mit Ministerien und anderen Staatsakteuren nebst den vorgesehenen Budgets auf Eis. Auch das Bankensystem funktioniert kaum und wird von Enteignung bedroht. Im März beschlagnahmt das Militär die Konten der Soros-Stiftung und ordnet eine Finanzprüfung großer INGOs an. Zudem ist die Kommunikation der NGOs blockiert, auf wenige Organisationen, die bereits vor dem Putsch mit Glasfaserkabel ausgestattet waren.
Schon 2020 reduzierte die Pandemie viel Projektarbeit, brachte aber immerhin Fortschritte für Myanmars Digitalisierung, die Fortbildung, online Datensammlung und die unabhängigen Medien. Der Putsch 2021 dagegen lähmt jetzt lokale Partnerorganisationen auf allen Ebenen. Die Sicherheit der Mitarbeiter kann nicht mehr garantiert werden, die Finanzierung ist weggebrochen, Kommunikation ist nicht mehr möglich und Angestellte sind geflüchtet, weil zivilgesellschaftliche Projekte zur Zielscheibe der Junta werden.
Lokale Organisationen fürchten einerseits den Verlust der Beiträge ihrer Geldgeber, während der Bedarf der Zielgemeinden an Unterstützung exponentiell steigt. Andererseits sind lokalen Akteuren die Hände gebunden, allen voran wegen Sicherheitsbedenken für die eignen Kollegen sowie Projektgemeinden.
Geldgeber sollten daher auf bewährte Organisationen an der thailändischen Grenze zurückgreifen, die über jahrzehntelange Erfahrung in der inoffiziellen Unterstützung zivilgesellschaftlicher wie ethnischer-, und Frauengruppen verfügen, sowie Weiterbildung von Journalisten fördern. Auch leisten diese Organisation wichtige humanitäre Hilfe, insbesondere durch mobile Kliniken für Vertriebene.
Diese früheren, aus der Exilbewegung entstandenen Strukturen wurden nach 2012 ausgehöhlt mit der Verlagerung von Projekten und Finanzströmen von Thailand nach Myanmar. Der Putsch kehrt diese Entwicklung um. Internationale Akteure, die Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und Aktivisten priorisierten, haben nun mehr Handlungsspielraum als solche, die mit institutionellen Partnern arbeiten. Für das internationale Versäumnis, eine Reform des burmesischen Sicherheitssektors voranzutreiben und als Bedingung an die Aufhebung der Sanktionen zu knüpfen, büßen sämtliche Akteure, aber allen voran die Burmesen selbst.
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