Indonesien – Elias und der Wal

Walfang mit Muskelkraft. Foto: Jürgen Kremb

Lamalera, August 2002 – Im Osten Indonesiens geht ein Dorf im August 2002 noch mit mittelalterlich anmutenden Speeren und handgeschmiedeten Harpunen auf Walfang. Moderne Fangmethoden lehnen die Fischer ab, um das maritime Gleichgewicht nicht zu gefährden.

„Am Anfang war es ein komisches Gefühl“, sagt Elias Beding, den sie im Dorf den „König der Walfänger“ nennen. Aber wenn er heute im tosenden Meer schwimmt, das sich vom Blut sterbender Walfische rot färbt und gierige Haie ihn umkreisen, dann empfindet er nur wenig. Todesgefahr gehört zum Alltag von Elias. Die unglaublichen Ereignisse aber, die am 14. August 2001 kurz vor Mittag begannen und seitdem rot im katholischen Kirchenkalender von Dorflehrer Benediktus Dolu Ebang, („Guru Ben“) notiert sind, waren dann aber auch für Elias alles andere als alltäglich. Und das obwohl „Pak Elias“ („Herr Elias“), wie sie den altgedienten Harpunier auf dem Boot Kolulus höflich nach indonesischem Brauch anreden, schon gut 50 Wale eigenhändig zur Strecke gebracht hat. In dem verarmten Fischerdörfchen Lamalera jedenfalls, vier beschwerliche Tagesreisen von Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens entfernt, im Süden der Insel Lomblen gelegen, vergisst man die Ereignisse des denkwürdigen Tages so schnell nicht mehr.

Aber das alles sollte Elias Beding erst gut 36 Stunden später realisieren, als er im spärlichen Schein des Neumondes wieder nach Hause trottete. Ziemlich müde. Sehr stolz. Sein hellblaues T-Shirt stinkend vom Schweiß und den grün karierten Sarong, den traditionellen indonesischen Wickelrock für Männer und Frauen, fürchterlich mit Blut besudelt.

Im Osten Indonesiens scheint die Zeit stehengeblieben. Foto: Jürgen Kremb

„Baleo“ heißt Walfisch im Dialekt der Fischer in Lamalera. Der Ruf, schallt immer dann durch das 2000-Seelennest, wenn einer der Bewohner draußen im Meer Wale erspäht hat. Am 14. August, war das genau um 11.30 Uhr. Es war die Zeit, wo die Mittagshitze beginnt unerträglich zu werden und Pak Elias eher lustlos in seinem Gemüsegarten herumharkte.

Als er den Ruf vernahm, lief er in sein Haus, holte seinen Sonnenhut aus geflochtenen Palmblättern unter dem Bett hervor, dazu den Duri, ein Hackmesser mit einer gut 20 Zentimeter langen Klinge und einem Bambusgriff. Dann rannte er los.

Elias Hütte liegt auf einem Hügel über der atemberaubend schön gelegenen Lamalera-Bucht. Es sind gut zwei Kilometer bis hinunter an den Hafen. Obwohl Elias im Frühling 2001 schon seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte, schafft er die Strecke an diesem Morgen in weniger als 20 Minuten.

In den dicht aneinander geduckten Bootsschuppen liegen neben seinem Boot der Kolulus, 17 weitere Pledangs, „Ruderboote zum Walfang“. Der schwarze Sandstrand ist gespickt mit ausgebleichten Walgerippen. Der Geruch von ranzigem Waltran vermischt sich mit dem Gestank von Schwefel, der aus dem vulkanischen Untergrund, der für die Insel so typisch ist, an die Erdoberfläche steigt.

Wenn es nach der scheinheiligen Lobby aus Walschützern, Greenpeace und der Internationalen Walfangkommission (IWC) ginge, hätte man Elias und den Walfängern von Lamalera längst das Handwerk legen müssen. Weil sich die IWC bei ihrer Sitzung im Mai 2002 dagegen sperrte, Japans Fangquoten zu erhöhen, ließ Tokio im Gegenzug den Walfang von Naturvölkern vorerst unterbinden.

In Lamalera kümmert das aber niemanden. Die Männer haben noch nie etwas von der IWC gehört und so jagen sie noch immer nicht nur Manta-Rochen, Delfine und Haie. Das Dorf ist weltweit wohl auch der einzige Ort, wo noch wie vor 150 Jahren, zu Beginn des Walfangbooms, ohne technische Hilfsmittel Jagd auf die gewaltigen Pottwale getrieben wird.

Nur soviel fangen, wie man essen kann. Foto: Jürgen Kremb

Und das Ironische bei der Sache: Wenn es das Dorf noch nicht gäbe, müsste es von Greenpeace und der IWC erfunden werden. Denn wie nirgendwo sonst, entspricht man in Lamalera dem Begriff der Nachhaltigkeit. Doch die moderne Welt der Umweltverbände und Naturschützer kennt Lamalera genauso wenig, wie das Dorf die Welt der Hochtechnologie und internationalen Konventionen kennt. Mit wenigen Ausnahmen. Der einzige offizielle Vertreter der modernen Welt, der jemals im Dorf gesichtet wurde, war ein norwegischer Entwicklungshelfer der FAO, einer UNO-Unterorganisation für Fischerei, Landwirtschaft und Ernährung. Er kam Anfang der Achtzigerjahre. Er war groß, weiß und ließ sich einen roten Bart wachsen. Seine Kinder gingen in die Dorfschule und wenn ein Urlaub anstand, wurde die ganze Familie auf FAO-Kosten im Helikopter ausgeflogen. Denn damals wie heute führt noch immer keine asphaltierte Straße in das abgelegene Dorf.

Noch immer führt keine asphaltierte Straße in das Dorf. Foto: Jürgen Kremb

Der Skandinavier lehrte die Fischer den Umgang mit Kanonenharpunen. Doch nach drei Jahren jagten die Dörfler den „Rotbart“, wie er genannt wurde, wieder davon. Anstatt, wie in der Vergangenheit etwa 20 Wale pro Jahr, konnten sie mit seinen Methoden mehr als 100 der bis zu 18 Meter langen Meeressäuger im Jahr erlegen. Das machte sie nicht froh, sondern das empfanden sie als Albtraum. „Tonnen von Waltran verrotteten am Strand“, sagt Dorfvorsteher Matheus Bataono. „Für uns ist es Sünde, wenn wir mehr Wale töten, als wir verbrauchen können.“ Technische Hilfsmittel benutzten sie heute noch immer nicht. Es kommt nur auf das Beschick und Glück der Fischer an.

So stach auch am 14. August die Mannschaft der Kolulus nur mit der Kraft ihrer Muskeln in See. In größerem Abstand folgten die Boote Mukotena und Horotena, später auch noch die Bakatena und die Demosapa. Die Männer atmeten schwer. Bald perlten Schweißtropfen über die dunklen, muskulösen Körper. Keines der Ruderboote misst mehr als zehn Meter – eine durchschnittliche Wallänge. Nicht ein Nagel und keine Schraube stecken im Bootsrumpf. Nur zwei handgeschmiedete Harpunen, nicht länger als eine Handspanne, befinden sich an Bord. Zwölf Mann paddeln im Knien, einer bedient das Steuer am Heck. Mit dem Harpunier sind es 14 Mann Besatzung. So verlangt es das „Gesetz der Väter“, das Adat, das Harmonie im Dorf und mit der Natur gebietet.

Nachdem die Männer gut anderthalb Stunden gerudert waren, nahm Elias eine von vier Bambusstangen, die zusammen mit einem handgeflochtenen Segel in einer Halterung auf der rechten Seite des Bootes verstaut war. Er steckte eine Harpune darauf, die an einem Hanfseil befestigt ist. Dann tänzelte er gelenkig wie ein 20-Jähriger auf einen stegartigen Vorbau hinaus, der drei Meter über den Bug des Bootes hinausragt.

„Es kommt darauf an, dass wir die Natur lesen können.“

„Es kommt darauf an, dass wir die Natur lesen können“, sagt Elias. „Wir müssen wissen, was der Wal denkt, wo er auf- und abtauchen könnte.“ Kaum fünf Minuten stand der Mann auf seinem Ausguck. Ein alter Mann mit einer gut vier Meter langen Lanze in der Hand, die Muskeln zum Bersten gespannt. Dann waren sie plötzlich da, diese Schatten im Meer, gefolgt von einem gurgelnden Geräusch.

Zuerst richteten sich zwei Augen auf die Fischer. Eine Wasserfontäne schoss wie eine Vulkanexplosion aus dem Rücken eines Wals und Gischt spritzte über das Boot. Und schon schlug die Schwanzflosse peitschend aus den Wellen, nur fünf Meter vom Boot entfernt. Furchterregend und gleichzeitig bewegend schön waren riesigen Pottwale aus den Tiefen des türkisblauen Meeres aufgetaucht.

Lamalera, mit einfachsten Booten auf Walfang. Foto: Jürgen Kremb

„Paus, Paus“, schrie die Besatzung durcheinander. Das heißt Walfisch auf Indonesisch. Ein Tabu verbietet den Männern, den Namen des Fisches in ihrer Lokalsprache zu nennen. Die Rufe waren Aufruf zur Schlacht und schrilles Entsetzen zugleich. Die Kolulus trieb jetzt mitten in einer Herde von mehreren Pottwalen. Zuerst zählten sie fünf, dann zehn und bald müssen es 20 ausgewachsene Pottwale gewesen sein, die wie graue gefährliche Monster das Boot umkreisten. Der Kleinste war mindestens fünf Meter lang, der Größte gut 15 Meter.

Das sind die Momente, die ein Walfänger fürchtet. Schnell muss er jetzt mehrere Entscheidungen treffen. Welches Tier jagen wir? Ist es ein Jungtier, dann kann die Mutter zur Hilfe kommen und das Boot angreifen. Wie steche ich zu? 20 Tonnen Fleisch liegen vor ihm. Gelingt der Fang, so kann das Dorf Monate davon leben. Aber begeht er nur einen Fehler, kann er die ganze Crew ins Verderben führen.

Als das größte Tier aus der Herde ausbrach, sah Elias, der Harpunier, seine Chance gekommen. Mit einem Handzeichen signalisierte er seiner Mannschaft, dass sie dem Riesen der Meere nachsetzen sollten. Kaum war das Boot auf gleicher Höhe mit dem gigantischen Kopf des Tieres, da reckte sich Elias auf die Zehenspitzen und stürzte sich mit seinem ganzen Körper auf den Wal.

Zuerst sprang der alte Mann einen Meter hoch, dann schien er waagerecht durch die aufgewirbelten Wassertropfen zu fliegen und schließlich senkte er sich, der Harpune folgend über den gigantischen Tierleib. Knapp hinter dem Schädel drang die Harpune ein. Elias klatschte auf die vom Fett schmierige Walhaut, rutschte ab und verschwand im Meer.

„Kopf runter“, brüllte Fanus Serpagi. Er war an diesem Tag der Seilgeber in der Kolulus, jetzt der wichtigste Mann an Bord. Erst schien der Wal den Stich nicht zu spüren. Dann zerrte er am Strick, wand sich und schlug mit seiner Schwanzflosse auf den Seitenausleger des Pledangs. Der oberarmdicke Stamm zersplitterte mit einem peitschenden Knall. „Wo ist Pak Elias?“, brüllte einer der Männer am Ruder.

In dem Chaos hatte Elias es geschafft, unter dem Boot hindurch zu tauchen und zog sich an der dem Wal abgewandten Seitenwand herauf. Lange war er aber da auch nicht mehr sicher, denn der Wal tauchte ab, die Kolulus im Schlepptau. Das muss wohl gegen 14.00 Uhr gewesen sein. Denn „Guru Ben“, der Dorflehrer, war gerade aus der Schule gekommen und nahm sein Fernglas zur Hand. Er sah gerade noch, wie die Männer ins Meer sprangen.

Was denkt man in solchen Momenten? „Nichts!“, sagt Elias. Oder: „Wo muss ich die nächste Harpune setzen“. Sein Sohn Ignasius sagt: „Mein Vater ist ein mutiger Mann“. Er selbst, der später auch Walfänger werden soll, denkt bisweilen: „Kann ein Wal töten, will er töten?“ Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum der Junge den Job noch nicht übernehmen darf. Denn ein Wal kann töten. Und solange der Harpunier darüber nachdenkt, kann er als Jäger nicht erfolgreich sein.

Der Dorflehrer, Guru Ben. Foto: Jürgen Kremb

„Guru Ben“ sammelt Berichte von außergewöhnlichen Walfängen. Sie lesen sich wie die Geschichte von Kapitän Ahab, dem besessenen Walfänger in Herman Melvilles Buch „Moby Dick“. 1997 etwa ließ eine Besatzung ihre Beute erst ziehen, als ein harpunierter Pottwal das Boot zwei Tage und zwei Nächte lang hinter sich hergezerrt hatte. Ein australisches Kreuzfahrerschiff rettete die Crew, dem Verdursten nahe vor der Küste Timors, 100 Seemeilen entfernt. Ein anderes Mal hob ein Wal ein Boot mit seinem Rücken hoch bis es in der Mitte durchbrach.

Dennoch sind schwere Unfälle selten. Zuletzt verfing sich ein Freund von Elias 1976 im Fangseil und ertrank. Einem anderen Harpunier wurde der Arm abgerissen, einem das Bein. Elias denkt da sehr einfach. Er sagt: „Wenn ich mir an Land nichts zu Schulden kommen lasse, beschützt mich Gott auch auf See.“

Seit der deutsche Missionar Bernhard Bode sich 1920 im Dorf niederließ und drei Jahrzehnte blieb, sind die Bewohner nicht nur stolz darauf, dass ihr Dorf zu „100 Prozent katholisch“ ist. Den Marienstatuen, die sie in der Dorfkirche anbeten und den Bildern von Papst Johannes Paul II, die die Hausaltäre schmücken, schreiben sie allerhand Wunderkräfte zu. Das macht sie mutig auf See.

Eine Stunde lang hielten sich die Männer der Kolulus am 14. August über Wasser bis die anderen Boote eintrafen. Sie sind gute Schwimmer, aber vorsichtshalber beteten sie auch: dass kein Hai kommt, dass kein Sturm aufzieht und dass sie bei Kräften bleiben. Nach zwei Stunden tauchte der Wal wieder auf, die Kolulus voller Wasser immer noch hinter sich herziehend. Vorsichtig kletterten sie in das Boot zurück. Aus seinem Atemloch spie der Wal eine Mischung aus Blut und Wasser. Er wirkte immer noch stark.

Die Männer folgten nun einem genauen Plan, den sie schon mehrmals ausprobiert hatten. Die Bakatena und Demosapan ruderten an die Kolulus heran. Während Elias im Heck der Kolulus die zweite Harpune schärfte, schöpften die anderen Männer das Wasser aus dem Boot. Die beiden anderen Boote wurden mit etwa 15 Metern Abstand hinter der Kolulus vertäut.

Als das geschehen war sprang Elias erneut. Er setzte einen perfekten, tiefen Stich und der Wal begann sofort im Wasser zu schlingern, zog zuerst Kreise, immer zwischen den anderen Tieren hindurch, dann an den anderen Pledangs vorbei. Als die Boote gegeneinander zu krachen drohten, kappten die Männer im letzten Pledang das Tau. Gerade noch rechtzeitig bevor das Tier wieder abtauchte. Diesmal mit zwei Booten im Schlepptau. „Welche Kraft“, dachte Elias noch, dann waren die Boote weg.

Gegen 17.00 Uhr waren also zwei Boote unter Wasser und 28 Männer schwammen zwischen den Pottwalen umher als Elias bemerkte, dass sich das Wasser blutrot färbte und Haie sie umkreisten. Was war geschehen?

Karolous Sifo Kerat, ein Mann mit dem Körper eines Sprinters, sehr dunkler Haut, auffallend großen, abstehenden Ohren, ist mit 30 Jahren der jüngste Harpunier im Dorf – aber ein Fuchs. Er hatte das Chaos, das jetzt herrschte genutzt, und dem nächstbesten Pottwal von seinem Boot Horotena aus zwei absolut tödliche Harpune in den Buckel gerammt.

Die Besatzung sprang ihm schnell ins Meer nach und durchtrennte dem Wal mit ihren Duri-Messern die Hauptschlagader, aus der das Blut wie aus einem Springbrunnen spritzte. Die Besatzung der Mukotena, die sich auch der Herde genähert hatte, machte es der Horotena nach. Gut 40 Mann schwammen um zwei sterbende Pottwale mittlerer Größe herum.

Um die Haie abzulenken, schnitten sie Fleischlappen aus der zuckenden Beute und warfen sie im hohen Bogen in Richtung der Haie.

Die Männer arbeiteten fieberhaft. Um die Haie abzulenken, schnitten sie Fleischlappen aus der zuckenden Beute und warfen sie im hohen Bogen in Richtung der Haie. Sie bohrten den Walen Löcher durch Schwanzflossen und Maul, um die toten Tiere an den Bootsauslegern zu vertäuen. Dann kletterten sie in ihre Boote zurück, setzten sie ihre Segel und hielten auf die Küste zu.

Um 19.00 Uhr geht die Sonne unter in Lamalera. Am Strand wurden jetzt Feuer entfacht, damit die Walfänger nach Hause finden. Doch Elias und seine Leute warteten noch immer auf ihre Boote, die der Wal in die Tiefe des Meeres gezogen hatte. Einige schwammen im Meer, andere hatten sich in das einzige Boot, die Demosapan gerettet, was nicht unter Wasser gezogen worden war. Erst im letzten Licht der Abendsonne tauchte der graue Pottwal wieder auf, die zwei Boote immer noch hinter sich herziehend. Inzwischen war er sichtlich geschwächt. Blut drang aus seinem Rücken. Während die beiden Besatzungen ihre Boote wieder in Besitz nahmen, versuchten die Männer der Demosapan so nahe wie möglich an das Tier zu gelangen, das sich jetzt im Todeskampf wandt.

Ganz mutige Männer tauchten an den Wal und stachen zu, in der Hoffnung, die Hauptschlagader zu kappen. Endlich traf jemand und eine Fontäne aus Blut und Tran sprudelte aus dem Rücken des Pottwals. Die gefährlichen Schlingerbewegungen ließen nach.

Dann starb der Wal schnell. Er war gut 20 Tonnen schwer. Drei Boote brauchte es, um ihn zum Strand zu schleppen. Es war ein Uhr früh, als sie endlich im Dorf eintrafen. Elias wurde wie ein Held gefeiert. Die Männer tranken Palmwein, schwatzten und lagen im Sand.

Das Einzige was ihre Stimmung trübte in dieser Nacht des Triumphs, waren Lichter draußen auf dem Ozean. Es machte den Männern deutlich, dass ihre Art mit dem Meer zu ringen, der Vergangenheit angehört. Denn die Lichter da draußen gehörten zu einer chinesischen Fischfabrik. Mit Halogenscheinwerfern leuchteten sie weit über das Wasser. Es sind viele, sehr viele Trawler. Tagsüber verschwinden sie aufs offene Meer. Doch nachts, wenn niemand auf dem Meer ist, da wildern sie in den Fischgründen der Männer von Lamalera. Sie legen lange Schleppnetze aus, die mit Sendebojen versehen sind und fischen das Meer leer. Das geht seit zwei Jahren so. Es ist der Grund, warum die Fischer von Lamalera kaum noch Manta-Rochen und Haie fangen und auch sonst nur noch sehr wenig Fische in die Netze kriegen. Elias weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die kilometerlangen Fangleinen auch die Wale verscheucht haben.

Die Vorräte werden immer weniger. Foto: Jürgen Kremb

Aber als die Sonne aufgeht, kümmert das niemanden mehr. Ihr Kopf ist schwer vom Alkohol und noch im matten Licht des Morgens, hatte Dorfvorsteher Abel Beding eine Bambusleiter an die erlegten Wale gestellt. Seiner Familie obliegt es nach altem Brauch den Fang so aufzuteilen, dass jeder im Dorf seinen gerechten Teil bekommt. Zu dem Ritual ist sein Sohn Noel erstmals, wenn auch widerwillig mitgekommen. Über ein Jahr hatte er mit einem Regierungsstipendium für Kinder aus armen Regionen in Bali Tourismusmanagement studiert. Wenn er, wie sein jüngerer Bruder die Wahl gehabt hätte, wäre er nicht ins Dorf zurückgekommen. „Doch der Älteste muss die Tradition bewahren“, sagt der krausköpfige Junge. Er rümpft die Nase und säbelt den übel riechenden Walkörper auseinander.

Mit den Erlösen Schulgeld für die Kinder zahlen. Foto: Jürgen Kremb

Elias bekommt die saftige Schwanzflosse, gut sechs Zentner schwer ist das Stück. Was sie in seiner Familie nicht selbst verzehren können, wird seine Frau gegen Mais, Reis und Süßkartoffeln im Nachbardorf eintauschen. Vielleicht bekommt sie auch noch ein paar Rupiah Bargeld dafür. Damit wird sie dann das Schulgeld für ihren jüngsten Sohn bezahlen. Den ganzen Tag schneiden sie den Wal auseinander. Es wird noch einmal Abend bis Elias nach Hause läuft, hoch in seine Hütte, die wie ein Adlerhorst über dem Dorf liegt.

Als er am Haus des Dorfvorstehers vorbeikommt, hat dessen Sohn gerade den Dieselgenerator angeworfen, den er in Bali gekauft hat. Neugierig hat sich die Dorfjugend um einen neuen Fernseher und das schicke Videogerät versammelt. Sie haben Musikvideos aufgelegt. Noel erzählt vom süßen und weniger beschwerlichen Leben in Bali, den Strandpartys mit den hübschen Mädchen. Er werde demnächst in Lamalera ein Touristenhotel eröffnen, schwärmt er seinen Freunden vor. Ein Rocksong dröhnt durch das Dorf: „Wasting my time watching the days go by“.

Elias weiß nicht wovon sie singen und überdies gefallen ihm die lauten Klänge auch nicht. „Aber irgendwie hat die Musik etwas Bedrohliches“, denkt er sich.

Nachspann: Auch 2008 gehen die Fischer von Lamalera dem Walfang noch wie ihre Urväter nach. Doch die Arbeit wird immer beschwerlicher, denn zusehends bleiben die Pottwale aus. Fischfangflotten aus Ostasien haben die Bestände vor der Insel bedrohlich dezimiert. Dafür haben die Bewohner des abgelegenen Dorfes im Osten Indonesiens einen Zusatzverdienst gefunden: immer mehr Rucksacktouristen besuchen das Dorf und garantieren ihnen ein bescheidenes Einkommen.

(Erschienen 2008, in: „Der Rikscha-Reporter“. Mit freundlicher Genehmigung des Herbig-Verlags, München.)

Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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