Laos – Bombenschrott und Zukunftshoffnung

Mönche in Laos. Foto: Jürgen Kremb

Vientiane, Februar 2008 – Kein Land musste in den Sechziger- und Siebzigerjahren schlimmer unter dem „Amerikanischen Krieg“ leiden, als Südostasiens Bevölkerungszwerg Laos. In einem geheimen Dschungelkrieg verwüsteten CIA-Söldner den bitterarmen Staat. Der jetzt einsetzende Wirtschaftsboom wird von einer Welle chinesischer Siedler und noch immer kämpfenden Rebellen gefährdet.

An Abenden wie diesem, wenn die feuchte Luft vom Mekong heraufweht und die Zikaden ihr schrilles Konzert anstimmen, im Garten hinter der französischen Kolonialvilla am nördlichen Stadtrand von Vientiane, der Hauptstadt von Laos, dann glaubt man es wieder zu riechen: Den Duft von Champagner und Cognac, der sich mit Orchideen vermischt.

Wenn der 54-jährige Sinouk („Eric“) Sisombat erzählt, scheint die Vergangenheit wieder lebendig zu werden. Sinouk hat ein fast aristokratisches Auftreten. Er trägt eine dunkle Tweedhose, dazu ein weißes, langärmliges Maßhemd. Bei der Erinnerung an die Tage seiner Kindheit holt Sinouk nur abends die Nostalgie ein, wenn er in der Dämmerung allein auf der teakgetäfelten Veranda sitzt und an seine Frau und seine fünf Töchter denkt, die im französischen Exil geblieben sind. „Eigentlich bin ich hier, um an der Zukunft zu arbeiten“, sagt er und wechselt schnell in den Plural. „Wir wollen wieder das werden, was wir einmal waren.“

So reden jetzt viele hier. Nachdem Laos, der sechs Millionen Einwohner kleine Staat, lange von der Landkarte getilgt zu sein schien, gelähmt von seiner buddhistischen Tradition, ausgebombt und verwüstet vom „Amerikanischen Krieg“, dann isoliert von seiner kommunistischen Führung aus den Tagen des Pathet-Lao-Widerstands, boomt das Land im Frühjahr 2007 wie nie zuvor. In den vergangenen drei Jahren wuchs das Bruttosozialprodukt durchschnittlich um sieben Prozent. Chinesische Siedler treiben die Grundstückspreise hoch, aber die alten, mächtigen laotischen Familien wie die Sisombats sind längst wieder da, um an dem Aufschwung teilzuhaben.

Der Plantagenbesitzer Sinouk redet als ältester von zehn Geschwistern. Bruder Nummer Zwei ist Chef von Microsoft Asien, Nummer Drei „Vice-President“ der Citibank France. Aber das „Wir“ steht für das Vermächtnis des Vaters. Sisouk Sisombat war einer der ganz großen Unternehmer im alten französischen Indochina, einer der Sorte, die das Geschäftemachen im Blut hatten.

Sein Aufstieg begann 1954. Die Franzosen hatten gerade die Schicksalsschlacht von Dien Bien Phu verloren und zogen sich aus Indochina zurück. Das Königreich Laos, das „Land der tausend Elefanten“ wurde unabhängig, als neutraler Pufferstaat, der die Kommunisten in China und Vietnam vom US-Vasallen Thailand, regiert von ultrarechten Generälen, fernhalten sollte.

Buddhistischer Schrein
Foto: Jürgen Kremb

In seiner Heimatstadt Pakse am Mekong errang Vater Sisouk nicht nur den Parlamentssitz für die Royalisten, als Generalvertreter französischer Firmen vertrieb er auch Champagner, Wein und Cognac. 1957 kam die Repräsentanz für Daimler-Benz dazu. Das garantierte die Nähe zur Macht. Bald besaß die Familie Plantagen und Geld im Überfluss. Als sie in Vientiane eine Villa bezog, waren dort Prinzen und Generäle zu Gast.

Was lange ein Familiengeheimnis blieb, war, dass der Vater sich auch auf der Gegenseite abgesichert hatte. Nachts, wenn die Bourgeoisie nach Hause ging, traf er seinen alten Jugendfreund Khamtai Siphandon. Der war Untergrundführer der Pathet Lao, der kommunistischen Widerstandsbewegung, aus der später die Revolutionäre Volkspartei (LPRP), die kommunistischen Partei von Laos hervorgehen sollte. Die beiden hatten in den Dreißigerjahren zusammen die Schulbank gedrückt und die Freundschaft hielt trotz der unterschiedlichen Weltbilder. Geheim mussten die Treffen bleiben, aber anrüchig waren sie nicht, eher ein Spiegelbild der Lage des Landes.

Denn Laos lebte mehr als die anderen Staaten Indochinas mit Widersprüchen. Die Franzosen bildeten entgegen des Neutralitätsgebots der Genfer Indochinakonferenz von 1954 weiter die laotische Armee aus und Washington finanzierte den Staatshaushalt. „Laos besitzt für uns die größte strategische Bedeutung in Indochina“, sagte John F. Kennedy 1962. Dass China 10.000 Soldaten im Norden des Landes stationierte, konnte er trotzdem nicht verhindern. Genauso wenig die schleichende Invasion von nordvietnamesischen Verbänden in die „Ebene der Tonkrüge“, jenem Hochland um die Fundstätte von vorzeitlichen Steingefäßen. Der Ho-Chi-Minh-Pfad, die strategische Versorgungsader für den Vietcong lief 800 Kilometer durch Laos.

Wenn Sinouk 2008 sagt: „Wir merkten nichts vom Krieg“, dann ist das die Wahrheit. Während Saigon schon 1968 bei der „Tet-Offensive“ fast in die Hände des Vietcong gefallen wäre, blieb Vientiane ein verschlafenes Nest, paradiesisch ruhig und bitter arm. Ein trügerisches Idyll voller Tempel. Morgens zogen buddhistische Mönche mit ihren Bettelschalen durch die Straßen. Dass die B-52-Bomber, die manchmal über die Stadt dröhnten, auch Ziele in Laos bombardierten, wussten nur wenige.

Die Familie Sisombat wähnte sich durch den Jugendfreund des Vaters auch dann noch in Sicherheit, als Saigon am 20. Mai 1975 den Kommunisten in die Hände fiel und die Royalisten in Laos die Flucht ergriffen. Die Menschen schwammen über den Mekong, der gemächlich an der Stadt vorbei zieht – eine Million waren auf der Flucht. Erst als auch kleine Beamte und einfache Polizisten für „Marxismus-Seminare“ abgeholt wurden, so hießen die Umerziehungslager im Dschungel, befahl der Vater den Aufbruch. Jetzt war klar, dass die kampferprobten Vietnamesen den Ton in der laotischen Revolution angaben und nicht mehr Schulfreund Khamtai.

Die Sisombats flüchteten nach Frankreich. Dort kauften sie sich prächtige Häuser auf dem Land, teure Appartements in Paris, besuchten Eliteschulen und waren ein respektiertes Zentrum der laotischen Diaspora. Aber die Beziehung zu den Kommunisten riss nicht ab. Das merkte der Sohn, der im Exil nur mehr Eric genannt wurde, erst 1989.

Historisches Foto, vietnamesische Frauen am Mekong.

Gorbatschow hatte nicht nur Vietnam die brüderliche Hilfe gekürzt, sondern auch der laotischen Volkspartei den Geldhahn zugedreht. Hunger brach in Erics Heimat aus. Da kam der alte Jugendfreund Khamtai, mittlerweile Präsident in Laos auf Staatsbesuch in den Élysée-Palast. Er, der als Stalinist galt, bestand darauf, dass der alte Royalist, Geschäftsmann Sisouk, beim Ehrendinner neben ihm saß. „Das Land braucht dich“, sagte er. Die Laoten in Paris waren entrüstet. Aber Erics Vater, der im Herzen ein Patriot geblieben war und arges Heimweh hatte, ging zurück. Sohn Eric musste folgen, denn ein asiatischer Familienpatriarch lässt keine Widersprüche zu. Das fiel ihm schwer.

Eric hatte es in Frankreich zum größten Reisimporteur gebracht. Das gab er auf und wurde wieder Sinouk, zog mit dem Vater nach Vientiane, wo erst 1994 die Planwirtschaft abgeschafft wurde. Es herrschte unbeschreibliche Armut. Mehrmals gingen sie fast Pleite. Aber auch Sinouk hat das Geschäftemachen im Blut und werkelte weiter.

Was er dabei nicht realisierte, war, dass der Krieg in Laos noch immer nicht Vergangenheit war – und bis heute ist. Denn im Hochland wird auch im Februar 2008 noch sporadisch gekämpft. Dass Sinouk davon nichts merkte, kann man ihm schlecht vorwerfen, denn neugierige Ausländer ohnehin und selbst Einheimische sind in den unzugänglichen Bergen im Zentrum von Laos ungern gesehen.

Xaisomboun liegt 300 Kilometer und gut zehn Fahrstunden von der Hauptstadt Vientiane entfernt. Eigentlich wäre der schlaglochübersäte Schotterweg, der kurz nach dem Provinznest Richtung Norden abzweigt und durch wild zerklüftete Berglandschaften führt, die kürzeste Verbindung, um Besucher zur Touristenattraktion der Ebene der Tonkrüge zu bringen. Aber schon nach wenigen Kilometern kann man hier nur noch im Geländegang vorwärtskommen und dann geht plötzlich gar nichts mehr weiter.

Aufgeregt springt ein Soldat aus seinem gut getarnten Erdbunker, der irgendwann in den Sechzigerjahren entstanden sein muss. Hektisch reißt der Mann in seiner abgewetzten Uniform einen weiß getünchten Schlagbaum herunter. Indem er mit einem AK-47-Sturmgewehr in der Luft herum fuchtelt, macht er unmissverständlich klar, dass hier die Fahrt nicht weitergeht.

Was hinter der Schranke liegt, haben die regierenden Kommunisten nach Ende des Vietnamkrieges fast keinem westlichen Ausländer gezeigt. Das soll sich auch heute nicht ändern. Aber von einer nahen Bergkuppe, die außerhalb der Sichtweite des Militärpostens liegt, kann man sich unbemerkt von dem Soldaten in den Dschungel schleichen und nach einer beschwerlichen Kraxeltour gibt eine Lichtung den Blick ins Tal frei. Was man jetzt sieht, erinnert ein bisschen an eine Szene aus einem amerikanischen Rambo-Film. Denn dort unten in der Dschungelsenke zieht sich der bröselige Beton einer ehemaligen Landebahn durch das mannshohe Dschungelgras.

Verbeulte Sowjetjeeps ziehen ihre Runden, gesteuert von ernst dreinschauenden Soldaten der laotischen Armee. Noch sind die Reste eines verfallenen Flughafengebäudes zu sehen. Aber zahlreiche verlassene Kasernengebäude aus grauem, mit Moos überzogenem Beton haben den Kampf gegen den vordringenden Urwald längst aufgegeben.

Völlig abgeschnitten von der Außenwelt war im Dschungel mit Hilfe der USA die zweitgrößte Stadt des südostasiatischen Landes entstanden. Doch alles war so geheim, dass selbst der Kongress in Washington nichts davon wusste.

Was die laotische Armee heute als Militärstützpunkt Long Cheng nur noch provisorisch nutzt, fungierte zwischen 1962 und 1975 als Kommandozentrale des „geheimen Krieges“ der CIA in Laos. Völlig abgeschnitten von der Außenwelt war im Dschungel mit Hilfe der USA die zweitgrößte Stadt des südostasiatischen Landes entstanden. Doch alles war so geheim, dass selbst der Kongress in Washington nichts davon wusste. Ohne parlamentarische Kontrolle und finanziert aus einem Sonderbudget, das nicht dem Verteidigungsministerium, sondern direkt dem US-Botschafter in Vientiane unterstand, sollte von hieraus der Vormarsch der Nordvietnamesen gestoppt werden.

Wenig ist auch heute noch über diesen schmutzigen Krieg Washingtons bekannt. Denn er wurde nicht wie in Vietnam mit Wehrpflichtigen, sondern mit einer amerikanischen Söldnergruppe geführt, rekrutiert unter Piloten, die sich bei ihrem Einsatz über Nordvietnam als besonders wagemutig hervorgetan hatten. Ravens nannten sich diese „Cowboys der Lüfte“, die stets ohne Uniform, dafür mit Wildwesthut und Jeans in ihre Einpropellermaschinen stiegen. Der ungewöhnliche Name war eigentlich nur der Codename des Funksignals, das sie in ihrer geheimen Mission über die „grüne Hölle“ von Laos führte.

Die Ravens legten Leuchtraketen wo sie gegnerische Positionen der Pathet Lao, des Vietcong oder der regulären nordvietnamesischen Verbände ausgespäht hatten. B-52-Bomber, die auf US-Flugbasen in Thailand oder auf der Pazifikinsel Guam stationiert waren, machten das so markierte Areal dann mit Flächenbombardements dem Erdboden gleich. Zweieinhalb Tonnen Bomben pro Kopf der Bevölkerung gingen über Laos nieder, mehr als im Zweiten Weltkrieg auf Japan und Deutschland.

Die direkten Verbündeten der Ravens im geheimen Krieg in Laos waren die Urwaldkrieger der Hmong, einem laotischen Stamm von Bergbewohnern und gefürchteten Jägern. 50.000 von ihnen hatte die CIA als Kämpfer rekrutiert.

Zusammen mit 24.000 thailändischen Elitesoldaten mussten sie die Drecksarbeit am Boden erledigen. Ihr Befehlshaber war General Vang Pao, ein bulliger Mann mit einem kantigen Glatzenschädel. Für die CIA war er der richtige Mann. Er hasste die Kommunisten und seine Krieger, oft noch Kinder, führte er in seiner Dschungelstadt Long Cheng mit eiserner Härte. Sie folgten ihm widerspruchslos. Den Sieg der Kommunisten konnte er dennoch nicht verhindern.

Und so kam es bei Kriegsende im Mai 1975 in Long Cheng zu ähnlichen Szenen, wie sie sich in Saigon auf dem Gelände der US-Botschaft abgespielt hatten, nur waren im Hochland von Laos keine Journalisten und Kameramänner als Augenzeugen zugegen. Als die Amerikaner dem Dauerregen der schweren Mörsergranaten aus vietnamesischen Geschützen nicht mehr standhalten konnten, gaben sie das Dschungelrevier mit seinen knapp 100.000 Bewohnern kurzerhand auf. Gut 400 CIA-Berater, ein paar Dutzend Ravens und General Vang Pao wurden mit den letzten Maschinen nach Thailand ausgeflogen, aber die Mehrzahl der Hmong überließ man ihrem Schicksal. Viele der 160.000 Hmong starben auf der Flucht Richtung Mekong, von denen, die es schafften, schwammen etliche nach Thailand und erhielten in den USA Asyl. Aber Zehntausende blieben zurück und kämpften weiter, auch noch im Februar 2008.

Noch immer verschanzen sich mehrere Hundert Hmong in den unzugänglichen Bergen des laotischen Hochlandes, sie leiden ständig Hunger, ihre Kinder können nicht in Schulen gehen und sie haben keine Zukunft. Mal überfallen sie deshalb einen Überlandbus oder ein Armeelager, dann schlägt das laotische Militär wieder gnadenlos zurück. Es ist ein sinnloser Krieg, geführt von den letzten Hardlinern des Indochina-Krieges.

Historisches Foto aus dem Vietnamkrieg.

Schuld daran, dass die Kämpfe immer noch nicht zu Ende sind, trägt vor allem ihr ehemaliger Oberbefehlshaber Vang Pao. Aus dem sicheren Asyl in den USA hatte er über Satellitentelefon bis zum Sommer 2007 seine letzten Anhänger in Laos immer wieder zum Weiterkämpfen angetrieben und die baldige Befreiung versprochen. Die US-Regierung schob dem Ganzen erst dann einen Riegel vor, als der betagte General im kalifornischen Sacramento von einem Undercover-Agenten des FBI schwere Gefechtswaffen erwerben wollte, um zurück nach Laos zu gehen und die Regierung in Vientiane zu stürzen.

Vang Pao wurde für den absurden Plan nur unter Hausarrest gestellt. Doch im Dschungel von Laos bezahlten seine letzten Anhänger für den geplanten Putsch mit ihrem Leben. Denn die Rebellen, die sich Ende Januar 2008 in der Nähe von Long Cheng ergeben wollten, schoss die misstrauisch gewordene laotische Armee kurzerhand nieder als ihre Anführer den Wald verließen.

Die Tragik der letzten Hmong-Guerilla ist, dass sie eine Art lebendes Relikt aus einer Zeit sind, an die eigentlich niemand mehr erinnert werden will, weder Washington, noch Vientiane. Nirgendwo wird das deutlicher als im Hochlandweiler Pha Volo, wo die Dschungelpiste aus Long Cheng auf die Nationalstraße Fünf stößt.

Nachts plärren Thai-Schlager weithin hörbar in den Tropenhimmel und grell geschminkte Mädchen bieten im gleißenden Neonlicht ihren Körper an. An den gerodeten Berghängen kleben Garküchen und Billighotels für Reisende und Bauarbeiter. Der Ort liegt in der „Xaisomboun Special Zone“. Bis vor drei Jahren war das Gebiet wegen der sporadischen Scharmützel mit den Hmong noch militärisches Sperrgebiet. Jetzt baut ein australischer Rohstoffkonzern in der „Phu Bia Mine“ eines der größten Gold- und Kupfervorkommen der Welt ab.

Die Tropenwälder sind im Umkreis von zehn Kilometern gerodet und auf dem Talgrund rasen im Drei-Minuten-Takt gigantische Lastwagen eine Schotterpiste entlang, die so breit ist wie eine vierspurige Autobahn sind.

Um Devisen in das völlig verarmte Land zu bringen, das über keine eigenständige Industrie verfügt, setzt das Politbüro in Vientiane auf die Gewinnung und den Export von Rohstoffen und den Bau von Staudämmen zur Elektrizitätsgewinnung. Ihr Land soll die „Batterie Asiens“ werden, lautet einer der neuen Slogans der Regierung. An gut 160 Standorten planen die Behörden mit ausländischen Investoren den Bau von Wasserkraftwerken. Dafür sollen gigantische Staudämme von bis zu 170 Metern Höhe in noch völlig unberührten Regionen entstehen. Schon jetzt schlagen Umweltschützer Alarm, weil die Mammutprojekte jahrtausendealte Tropenwälder zu zerstören drohen.

Auch wird das nicht gerade helfen, aus Laos das beliebte Tourismusland zu machen, wie es die Regierung für die Zukunft plant. Im Januar 2008 kürte die New York Times das Land zwar zum „Touristenziel des Jahres 2008“, denn erstmals kamen 2007 mehr als 500.000 Besucher ins Land und die alte Königsstadt Luang Prabang ist längst zum heißesten Tipp in der Backpacker-Szene geworden. Aber Insider sind skeptisch.

Oldtimer in Luan Prabang. Foto: Jürgen Kremb

„Wir haben noch einen langen Weg vor uns“, sagt der 50-jährige Sousath Phetrasy. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. In dem Städtchen Phonsavan, wo er das kleine „Maly-Hotel“ betreibt, liegt von der „Xaisomboun Special Zone“ nur 70 Kilometer Luftlinie entfernt.

Schon immer lebte Hotelbesitzer Sousath dort in einer ganz anderen Welt, die mit der Welt von Sinouk dem Unternehmer und der Welt der Krieger von Long Cheng wenig gemeinsam hatte. Sousaths Vater war in den Sechzigerjahren den kommunistischen Pathet Lao beigetreten und hatte sich auf die Seite der Vietnamesen geschlagen. Sie lebten auf der Ebene der Tonkrüge jenem Areal von urzeitlichen Findlingen, das zum Hauptschlachtfeld des Krieges in Laos geworden war. „Ich habe so viele zerfetzte Leichen gesehen“, sagt er, „das können Sie sich gar nicht vorstellen.“

Niemand weiß genau, wie viele Menschen dem „Amerikanischen Krieg“ in Laos zum Opfer fielen. Die Schätzungen lauten bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung von damals drei Millionen Menschen. Als die Hmong zusammen mit den Amerikanern 1968 Phonsavan überrannten, versteckte sich Sousaths Familie in den folgenden fünf Jahren in einer Höhle an der Grenze zu Vietnam, immer in Angst vor den Angriffen der amerikanischen B-52-Bomber, die den Dschungel mit einem Teppich von Splitterbomben überzogen. Es roch ständig nach verschmortem Fleisch und Blut. Erst als er auf Betreiben der Pathet Lao in eine Schule für „Junge kommunistische Kader“ ins chinesische Nanning geschickt wurde, konnte er wieder ruhig schlafen.

Er lernte Chinesisch und Russisch und als der Krieg zu Ende war verschaffte ihm der Vater, mittlerweile ein hoher Regierungsbeamter geworden, ein Stipendium in der DDR. Das war 1987, der Sozialismus lag in Osteuropa schon in seinen letzten Zügen und Sousath entschloss sich, seine Abschlussarbeit in politischer Ökonomie über den „Schwarzmarkt in Ostberlin“ zu schreiben. Als er Jahre später nach Hause zurückkehrte half ihm das, die Realität besser analysieren zu können. „Wir haben den Kommunismus ausprobiert, aber es ist schief gegangen“, sagt er freimütig, „denn wir haben nur Armut produziert.

„Wir haben den Kommunismus ausprobiert, aber es ist schief gegangen“, sagt er freimütig, „denn wir haben nur Armut produziert.“

Sousaths Traum, ein Hotel aufzubauen und Touristen über die einzigartige archäologische Fundstätte der „Ebene der Tonkrüge“ zu führen, scheiterte im ersten Anlauf daran, dass die Gegend mit unzähligen Blindgängern und Bombenresten übersät war. Also begann er selbst, nur mit der Hilfe seines Sohnes, mit den Aufräumungsarbeiten. Fünf Jahre schufteten sie ohne fremde Hilfe. Sie gruben Bomben aus und brachten sie zur Explosion, um die Fundstätte sicher für Besucher zu machen.

Am heimtückischsten waren die faustgroßen Bombies zu beseitigen. Bis zu 900 dieser propellergesteuerten Sprengkörper konnten aus dem Bauch einer einzigen Splitterbombe regnen. Und knapp ein Drittel dieser tödlichen Sprengkörper sind weder beim Aufprall noch später explodiert. Das war ein gefährlicher, langwieriger und einsamer Job dem Sousath und sein Sohn da bewältigten. Doch heute stehen sie damit nicht mehr allein. Mittlerweile erhalten die Bewohner der abgelegenen Region auch von der britischen Mines Advisory Group (MAG), einer NGO, die sich auf das Entschärfen von Minen spezialisiert hat, fachmännische Unterstützung. Doch wie gigantisch das Problem noch immer ist, zeigt die Statistik. Bei einer ihrer letzten Ausgrabungen, die die MAG Anfang Januar 2008 unternahm, fand die Hilfsorganisation auf einer nur 20.000 Quadratmeter großen Fläche 1177 Bombies.

Sousath ist ein gemütlicher älterer Herr geworden, erstaunlicherweise mit Lachfalten im Gesicht. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los. An den Wänden seines Hotels hängen die wenigen Berichte aus amerikanischen Zeitungen und Magazinen, die über den „geheimen Krieg“ der Raven und des CIA in Laos berichteten. In der Ecke stehen ein paar Bomben, die er eigenhändig entschärft hat.

Als Beweis dafür, dass seine Pionierarbeit fruchtete, sind in Phonsavan im letzten Jahr zahlreiche neue Billighotels entstanden. Internet-Cafés und Müslibuden säumen die Hauptstraße. Aber auch sie locken ihre Gäste mit Bildern aus dem Krieg und Bomben, die sie in ihren Auslagen herzeigen. „Aus unseren Köpfen wird der Krieg nie verschwinden“, sagt Sousath. „Er tobt dort immer noch jeden Abend weiter, sobald ich mich ins Bett liege und meine Augen schließe.“

Es wird wohl eine neue Generation brauchen, unter der das kleine, ausgeblutete Land wieder Anschluss an seine boomenden Nachbarländer findet. So jemanden wie Ousavanh Thiengthepvongsa vielleicht.

Seine Haare sind modisch mit Gel nach hinten gekämmt, er trägt ein Seidenhemd und schwarze Stoffhosen. Im Zentrum von Vientiane sitzt er in seinem neu eingerichteten Bürohaus. Noch kreischen die Sägen im Nebenzimmer, sein Schreibtisch ist mit Backsteinen unterlegt. Aber sein Leben war schon immer ein Provisorium und wird es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben.

Auch Ousavanh hat in der DDR studiert. Als der Sozialismus zusammenbrach, blieb er jedoch erstmal zurück, jobbte und heiratete eine deutsche Künstlerin. Sie bekamen zusammen drei Kinder. Doch als er sich 1998 entschied, nach Laos zu übersiedeln, brach die Familie auseinander. Es war seine bisher größte Lebenskrise und er schwor sich, dass dieser Rückschlag nicht umsonst gewesen sein durfte. Er nahm sich vor, dafür wenigstens in seiner Heimat etwas Bleibendes bewirken zu wollen.

Einfacher gesagt als getan. Denn Ousavanh musste sich erstmal viel Spott anhören, als er bei Investoren und Politikern mit der Idee hausieren ging, einen Unternehmerverband gründen zu wollen. Noch gab es in der Hauptstadt fast keine asphaltierten Straßen. Laos lief bei Investoren unter dem Beinamen „das Afrika Asiens“ und die Politik des kleinen, abgeschiedenen Landes war in tief der sozialistischen Vergangenheit stehen geblieben.

In Vientiane gab seit 1975 stets Khamtai Siphandon den Ton an, als Präsident und KP-Chef. In den Augen junger Leute galt er als kommunistischer Hardliner, der sich einer weiteren Öffnung und politischem Pluralismus versperrte. Widerstand dagegen führte ins Verderben. Von einer Handvoll Studenten etwa, die 2004 ein Mehrparteiensystem eingefordert haben, fehlt bis heute jede Spur. Es gibt keine Opposition im Land.

Das weiß Ousavanh nur zu gut und deshalb wählt er seine Worte behutsam. „Ich will ja nicht die KP stürzen“, sagt der Deutschlandheimkehrer, „sondern die Wirtschaft beleben“. Seit zwei Jahren steht er jetzt schon dem von ihm gegründeten Verband laotischer Jungunternehmer vor, besitzt eine Firmenholding, gibt ein Mode- und Lifestyle-Magazin heraus und sitzt seit dem 30. April 2006 als einziges Nicht-KP-Mitglied im 115-köpfigen Parlament.

Der 30. April 2006 war nicht nur ein Wendepunkt für Ousavanh, sondern für das ganze Land. Mit Bouphavanh Bouasone wurde erstmals ein Premier ins Amt gewählt, der nicht mehr der Generation angehört, die mit der Pathet Lao an die Macht kam. Ein Drittel der Parlamentarier ist zudem jetzt unter 45 Jahre alt. Ihre häufig kontrovers geführten Debatten werden häufig live im Staatsfernsehen übertragen.

Gleichzeitig wurden die Investmentgesetze gelockert, Geld fließt ins Land und überall werden die alten französischen Kolonialgebäude restauriert. Die Menschen sitzen gut gelaunt in Straßencafés und erstmals gibt es in Vientiane, der gerade mal 450.000 Einwohner zählenden Hauptstadt, Verkehrsstaus. Der Kalte Krieg ist auch für Laos vorbei, aber schon steht eine andere Bedrohung ins Haus.

Frauen weben Seide in Laos. Foto: Jürgen Kremb

Am deutlichsten ist diese in Ousavanhs Wahlkreis Laung Namtha im Norden zu besichtigen. Die Stadt wird von chinesischen Siedlern geradezu überschwemmt. Sie kaufen den Einheimischen ihre Waldnutzungsrechte ab, roden den Urwald und legen dort in Monokultur Gummiplantagen an. Kautschuk ist in China ein begehrtes Gut, das von der Regierung in Peking zu den „strategischen Rohstoffen“ erklärt wurde und deshalb hohe Profite abzuwerfen verspricht.

Mehr als 400.000 chinesische Neubürger haben schon 250.000 Hektar Boden in Laos gepachtet. Ihr Ziel ist aber weitaus ambitionierter. Im Jahre 2010 schon wollen Firmen aus der Volksrepublik China auf zwei Millionen Hektar Waldfläche in Laos Kautschuk gewinnen. Dafür müssten sich theoretisch drei Millionen chinesischer Gastarbeiter und Siedler in dem kleinen südostasiatischen Land niederlassen.

Auch für die Hauptstadt kündigen sich dramatische Veränderungen an. Denn für die Asienspiele, die  2010 in Vientiane stattfinden sollen, hat Peking versprochen, den „sozialistischen Brüdern in Laos“ die Sportstätten im Wert von 100 Millionen US-Dollar zu bauen. Umsonst ist die Offerte aber nicht. Denn im Gegenzug sollen 60.000 Chinesen eine Daueraufenthaltsgenehmigung für Vientiane erhalten. Am Ufer des Mekong in Vientiane wird demnächst eine Chinatown entstehen. Nur noch eine Frage der Zeit sei es, so Diplomaten, bis Peking in Laos wirtschaftlich vollständig das Sagen habe.

Das weiß auch Ousavanh, aber er hält sich bedeckt. „Ich denke, wir müssen unsere chinesischen Freunde einfach dazu bringen, dass sie unsere Gesetze respektieren“, ist die einzige, zaghafte Kritik, die ihm zu entlocken ist.

Sousath, der Heimkehrer aus Frankreich, hält es da mit seinem Vater. Wie dieser, versucht er möglichst lautlos im reißend Strom der wechselnden Geschichte Südostasiens mitzuschwimmen und dabei nicht zu ertrinken. Einfach war das nie. Dutzende Male musste er schon seine Strategie ändern.

Mit einem Freund verkauft Sinouk jetzt wieder Luxuslimousine, auch Mercedes-Benz. „Die großen Wagen gehen gut“, sagt er. Seit geraumer Zeit hat er zudem Kaffeeplantagen gekauft, in Pakse am Mekong, wo sein Vater mit Khamtai, dem späteren KP-Chef die Schulbank drückte. Dort und in Vientiane hat er ein „Café Sinouk Lao“ eröffnet. Seine Kaffeehäuser sollen ein Exportschlager werden. Bald will er in Peking und Shanghai Dependance eröffnen.

„Dort liegt die Zukunft“, meint er. „Aber Laos bleibt mein Zuhause.“ 

(Erschienen 2008, in: „Der Rikscha-Reporter“. Mit freundlicher Genehmigung des Herbig-Verlags, München.)

Über den Autor

Jürgen Kremb
... ist ein deutscher Autor, Journalist und Auslandskorrespondent, der vorwiegend zu Asien, Menschenrechten und den Sicherheitsdiensten publiziert. Er studierte und lehrte Ostasienwissenschaften (Japanologie, Sinologie, Tibetologie), Volkswirtschaft und Journalismus an der FU Berlin sowie an der Pädagogischen Hochschule in Taipei/ Taiwan. Als Autor schrieb er für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Dazu berichtete er für dpa, den Hörfunk und leitete mehr als zwei Jahrzehnte die SPIEGEL-Redaktionsvertretungen in Beijing, Singapur und Wien. Heute lebt Jürgen Kremb als Berater und Startup-Unternehmer in Wien und meist Singapur, von wo er sich gelegentlich auch für die NZZ und das Handelsblatt meldet.

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